Wie retten wir das verlorene Schuljahr?
“Die Pandemie hat uns alle vor große Herausforderungen gestellt. Dass bei ihrer Bewäl-tigung Fehler passieren, ist menschlich und verzeihbar”, sagt Patric Cordier, der stellv. Vorsitzende der Landeselternvertetung der Gymnasien, “auch die Bildungsministerin war stets bemüht. Frau Streichert-Clivot hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten getan, was sie für das Beste für die Schülerinnen und Schüler im Saarland gehalten hat. Diese gute Absicht darf ihr niemand absprechen.”
Dennoch: Das Schuljahr scheint verloren, so oder ähnlich sehen es wohl mittlerweile die meisten Eltern. Denn ‚rund‘ lief es in diesem Schuljahr bisher nicht und der erste Lock-down im Jahr 2020 hatte bereits deutliche Spuren hinterlassen.
Was tun die bildungspolitisch Verantwortlichen?
Die Bildungsministerin macht weiter wie bisher. Wechselunterricht wird als ‚voller Prä-senzunterricht‘ tituliert, Fernbeschulung oder die ‚Digitalisierung‘ haben angeblich ‚fast‘ problemlos funktioniert . Dabei ergab eine Umfrage der Landesschüler-Vertretung , dass die Hälfte der SuS sich vom Unterrichtsgeschehen abgehängt fühlen. Standardisierungen oder Verpflichtungen für den Online- Unterricht: Fehlanzeige. Gebundener Ganztag und mehr Schulsozialarbeiter werden als Ersatz für Lehrerstellen und individuelle Förder-maßnahmen verkauft. „Druck aus den Lehrplänen nehmen“ heißt im Klartext, dass man gnadenlos Inhalte kürzt, was sich nicht nur auf aktuelle Prüfungsanforderungen auswir-ken wird, sondern langfristig bis in die Mittel- und Unterstufenlehrpläne.
Der Vorschlag der CDU, dass in Ferienbeschulung oder mit VHS-Ersatzlehrern Schulstoff nachgearbeitet werden soll, trifft auf wenig Gegenliebe bei den Eltern. Bei einer Kurzab-frage an zwei Gymnasien und einer Gemeinschaftsschule konnten sich nicht mal fünf Prozent der Erziehungsberechtigten mit dieser Idee anfreunden. Mehrere Millionen in 2 Stunden Nachhilfe pro Woche zu pumpen, die dann vielleicht 20 Prozent der SuS er-reicht, ist ebenfalls nicht zielführend.
“Das soll der große Wurf sein, mit dem im Saarland das verlorene Schuljahr und die Bil-dung gerettet werden soll? Am Gymnasium sind wir praktisch bei einem G7, nicht nur am Gymnasium auch an den anderen Schulformen werden wir in Zukunft die SuS mit deutlich weniger Kompetenzen und Bildung in ihr weiteres Leben entlassen”, sagt Katja Oltmanns, die Vorsitzende der LEV Gym. Dient das der vielbeschworenen Bildungsge-rechtigkeit?”
Die LEV Gym fordert, analog der Vereinigung der Oberstufendirektoren, eine Verlänge-rung der Schulzeit. “Grundsätzlich werden alle bis Klassenstufe 10 das Schuljahr wie-derholen. Damit wird eine Stigmatisierung einzelner als “Wiederholer” vermieden. Kin-der, die zum Teil seit dem Kindergarten in den gleichen Gruppen aufwachsen, bleiben so zusammen”, erklärt Oltmanns den Vorschlag, “viele Eltern können sich mit dieser Idee anfreunden, auch weil man damit den Kindern endlich Zeit für die soziale und emotiona-le Entwicklungen gibt. Und genau die kommt in der Diskussion um Inhalte und Vermitt-lungsstrategien oft zu kurz.”
Diejenigen SuS, die im letzten Jahr gut mitgekommen sind, könnten – dem Vorschlag der LEV Gym folgend – nach einem Beratungsgespräch mit der verantwortlichen Klassenleh-rerin oder dem Klassenlehrer im sonst üblichen Verfahren der Klassenkonferenzen in die nächst höhere Stufe versetzt werden. “In Gesprächen mit Vertretern der Hand-werkskammer wurde uns signalisiert, dass man auch dort lieber ein Jahr weniger Schulabgänger in Kauf nimmt, als über Jahre mit schlechter ausgebildeten Lehrlingen arbeiten zu müssen”, sagt Cordier.
In der großen Elternumfrage der LEV Gym sprachen sich eine über 80% der persönlich befragten Gymnasialeltern für die Einführung eines neunjährigen Gymnasiums aus. “Ein Wiederholungsjahr würde zum einen eine harmonische Einführung beginnend mit dem Schuljahr 2022/2023 ab Klassenstufe 5 ermöglichen”, sagt Oltmanns, “und es brächte die Zeit, die entsprechenden Lehrpläne mit alters- und entwicklungsgerechten wie zu-kunftsgewandten Inhalten zu erarbeiten. Der Saarländische Philologenverband hat da bereits hervorragende Vorarbeit geleistet.”
Wir sind gespannt, wer von den politisch Verantwortlichen den Mut hat, diese Diskussi-on um ein Jahr zusätzliche Lernzeit und Kindheit öffentlich zu führen – wir stehen bereit dafür.
Vorstand LEV Gymnasien