Themenseite Inklusion – Forderungen
Die Elternvertreter betonen, dass die zunehmende Einforderung berechtigter (und im Einzelfall auch unberechtigter) Ansprüche an die Schule Schulverwaltung und Lehrkräfte vor große Herausforderungen stellt. Die LEV Gymnasien plädiert dafür, den Schulen mehr Zeit und externe Fachkräfte zur Verfügung zu stellen, damit die besonders beim Thema Inklusion notwendige Partnerschaft zwischen Schule und Elternhaus gelingen kann. Es ist bekannt, dass Schulen, die eine intensive Beratung anbieten, den Aufbau konstruktiver Beziehungen erleichtern. Investitionen in zeitliche, bauliche und fachliche Ressourcen im Bereich schulischer Inklusion sind als Präventionsmaßnahmen anzusehen, die es nachkommenden Generationen erleichtern können, ein selbstbestimmtes und sinnerfülltes Leben zu führen.
Grundlagen
Rechtliche Grundlagen
- Verbot der Benachteiligung: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden (Grundgesetz, Artikel 3).
- Gebot der Veränderung: Die sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen und Faktoren müssen sich verändern, um dem behinderten Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen (Behindertenrechtskonvention)
- Behinderung: Als Behinderung gelten langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen (Behindertenrechtskonvention)
- Anhörungspflicht: Eltern und volljährige Schüler sind vor Erlass des Verwaltungsaktes (z.B. Anerkennung einer Behinderung) anzuhören (§ 28 VwVfG)
- Akteneinsicht: Eltern haben Recht auf Akteneinsicht bzw. Bezug von Kopien aus der Schülerakte (Art. 6 S. 1 GG)
- Recht auf Beistand: Eltern können sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen oder einen Beistand zu Besprechungen mitnehmen (§ 14 I VwVfG)
- Schriftlichkeit: Verwaltungsakte sind schriftlich zu übermitteln und umfassend zu begründen (§ 39 I VwVfG). Ohne Rechtsbehelfsbelehrung gilt eine Einspruchsfrist von einem Jahr.
Konsequenzen für die Gymnasien
- Berücksichtigung von Behinderungen im Schulalltag
- Berücksichtigung von Behinderungen bei Prüfungen
- Ausgleichsmaßnahmen nicht nur bei schwerwiegenden, sondern bei allen (für den Schulkontext nicht völlig belanglosen) Behinderungen
- Barrierefreie Bildungseinrichtungen und barrierefreie Wissensvermittlung
- Einbindung von Eltern (und ihren Bevollmächtigten) in den Entscheidungsprozess
Behinderung im Schulalltag
Herausforderungen
- Gefahr der Unterschätzung der Folgen fehlender Unterstützung
- Gefahr des Akzeptierens eines “ausreichenden” Zurechtkommens behinderter Schüler
- Mangel an zeitlichen Ressourcen für individuelle Betreuung
- Mangel an fachlichen Ressourcen (Wissen über Behinderungen)
- Hinderliche Normalitätserwartungen
- Erhöhte Gefahr von Ausgrenzung und Mobbing
Konsequenzen aus Sicht der LEV Gymnasien
- Notwendigkeit der Entwicklung schulischer Inklusionskonzepte
- Notwendigkeit zusätzlicher Zeit für Teamwork und für individuelle Interventionen
- Notwendigkeit von Fortbildungen
- Notwendigkeit intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema “Behinderung” zur umfassenden Perspektivenänderung
- Notwendigkeit eines niederschwelligen Zugangs zu Expertenwissen und Expertenzeit
Behinderung in Prüfungssituationen
Einschränkung von Fähigkeiten, die außerhalb der zu prüfenden Leistungen liegen
Die LEV Gymnasien fordern folgende Handhabung:
- Keine Veränderung der fachlichen Prüfungsanforderungen
- Anpassung der Prüfungsbedingungen, so dass eine materielle Gleichheit mit gesunden Schülern hergestellt wird
- Keine Bemerkung im Abschlusszeugnis
- Beispiel: motorische Probleme beim Schreiben mit der Hand
Einschränkung von Fähigkeiten, die die zu prüfenden Leistungen berühren
Der Umgang mit Leistungseinschränkungen inhaltlicher Art hängt nach Meinung der LEV Gymnasien von zwei Fragen ab, die im individuellen Fall beantwortet werden müssen:
Sind die nicht prüfbaren Kulturtechniken anderweitig kompensierbar?
Beispiel: Software zur Rechtschreibkorrektur
Ist ein Erfolg im anvisierten Bildungsgang trotz der Einschränkungen wahrscheinlich?
Beispiel: Verzicht auf die Sportnote bei schwerer körperlicher Beeinträchtigung
Können beide Fragen mit “ja” beantwortet werden, kann nach der Meinung der LEV Gymnasien auf etliche Prüfungsleistungen verzichtet werden. Ein Vermerk im Zeugnis ist in diesem Fall notwendig.
Diagnose und Anerkennung einer Behinderung
Die LEV Gymnasien spricht sich aus für ein gerechtes Verfahren, das die persönlichen Daten der Betroffenen so weit wie möglich schützt. Die Routinen dafür sollen klar festgelegt und transparent allen Betroffenen zugänglich gemacht werden. Die Elternvertreter plädieren für eine Trennung der Zuständigkeiten:
Hinweise durch Eltern, Schüler oder Lehrkräfte
Diagnose durch Fachärzte und Schulpsychologen
Grundlagen: ICD, Leitlinien, Landesrecht

Übermittlung relevanter (Teil-)Informationen an die Schule
Weitergabe der Daten innerhalb der Schule nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Betroffenen

Verpflichtung der Schule zur Anerkennung diagnostizierter Behinderung
Anerkennung unabhängig vom aktuellen “Schulerfolg”
Festlegung eines Nachteilsausgleichs
Die Diagnose einer Behinderung zieht nicht automatisch die Festlegung eines Nachteilsausgleichs nach sich. Umgekehrt genügt für die Festlegung eines Nachteilsausgleichs eine ärztlich attestierte chronische Krankheit, Behinderung oder zeitweilige Beeinträchtigung. Aufgrund der Komplexität und Relevanz der Entscheidungen plädiert die LEV Gymnasien für die Festlegung grundlegender Rahmenbedingungen im Landesrecht. Der Ablauf des Verfahrens muss klar geregelt und für alle Beteiligten transparent sein. Die Elternvertreter schlagen vor:
Festlegung von Nachteilsausgleichen durch Schulpsychologen
nach Anhörung von Eltern, Schülern, Lehrkräften und Ärzten

Übermittlung bindender Entscheidungen zum Nachteilsausgleich an die Schule
Vermeidung der Diskussion medizinischer oder psychologischer Details bei Klassenkonferenzen

Verpflichtung der Schule zur Anerkennung und Berücksichtigung festgelegter Nachteilsausgleiche
Grundrechtsausübungsverzicht nur im Notfall und durch die Betroffenen

Quellen
Deutsches Studentenwerk: Sondererhebung BEST – beeinträchtigt studieren, 2012
E. Middendorff, B. Apolinarski, K. Becker, P. Bornkessel, T. Brandt, S. Heißenberg, J. Poskowsky: Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks – durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 2017.