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Unterrichtsgestaltung

Zustand: Aktuelle Überzeugungen, Erkenntnisse und Wertungen gehen einher mit gesellschaftlichen Veränderungen, die immer auch zu veränderten Unterrichtsmethoden, Unterrichtsinhalten und Kommunikationsformen zwischen Lehrkräften, Schülern und Eltern führen. Zurzeit verschiebt sich der Fokus von Lernzielen zu Kompetenzen, von Frontalunterricht zu schülergesteuerten Aktivitäten und von Bewertung zu Problemanalyse. Entsprechend werden in den Schulen neue Unterrichtsmethoden eingesetzt, für die Schulen neue Lehrpläne entwickelt und neue Formen der Leistungsmessung und -bewertung verwendet. Schon seit Jahrzehnten entwickelt sich das soziale Miteinander von unwidersprochener Autorität hin zu gegenseitigem Respekt.

Analyse: Der aktuelle Kenntnisstand von Unterrichtsforschung, Didaktik, Pädagogik und Psychologie spricht für viele der Neuerungen im Unterricht an saarländischen Gymnasien. Es ist jedoch erkennbar, dass manche Methoden in ihrer Komplexität und ihren Nebenwirkungen unterschätzt wurden und die Lage für Lehrkräfte und Schüler verkomplizieren oder sogar verschlechtern können. Einige Veränderungen berühren nach Meinung der Landeselternvertretung der Gymnasien in unzumutbarem Maß die Persönlichkeitsrechte der Schüler. Besonders positiv ist, dass ein wertschätzender Umgang mit Schüler immer mehr zur Normalität wird.

Forderungen:

  1. Unterrichtsmethoden: Der verstärkte Einsatz von Gruppenarbeiten und Referaten ist gut geeignet, die Eigenverantwortlichkeit und Selbstaktivierung der Schüler zu stärken. Aufgrund einer Vielzahl von Rückmeldungen aus der Elternschaft und auf Basis wissenschaftlicher Veröffentlichungen muss aber davon ausgegangen werden, dass der konkrete Einsatz dieser Methoden dringend verbessert werden sollte. Die Verwertung schülereigener Handouts als Ersatz für Tafelbilder wird von Eltern als didaktisch unzureichend, manchmal sogar fehlerbehaftet erlebt. Viele Referate werden in großem Umfang zu Hause vorbereitet und belasten dadurch zusätzlich die kurzen G8-Nachmittage bzw. verstärken das Ungleichgewicht zwischen Schülern mit viel und wenig Unterstützung aus dem privaten Umfeld. Immer noch werden Schüler auch bei sehr abstrakten Themen ohne Hilfestellung auf “Quellensuche” im Internet geschickt – bei auffallender Unterschätzung des zeitlichen und intellektuellen Anspruchs dieser Aufgabe. Die Elternvertreter fordern, bis kurz vor Ende der Gymnasialschulzeit geeignete Quellen zu den Referatsthemen vorzugeben. Ob eine große Zahl von Referaten und Gruppenarbeiten zeitlich zu den eng getakteten G8-Lehrplänen passt, erscheint fraglich.
  2. Rolle der Lehrkräfte: Bei aller Wertschätzung für schülerzentrierte und anregende Unterrichtsmethoden steht in den Augen der LEV Gymnasien die Lehrkraft immer noch als richtungsweisende und taktgebende Autorität im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens. Eine Herabstufung der Lehrkräfte zu “Lernbegleitern” kann insbesondere beim hohen Anspruch des G8-Unterrichts den Lernerfolg gerade der Schüler gefährden, die mit der Selbststeuerung noch Probleme haben. Bremer spricht vom “Mythos vom autonom lernenden Subjekt”, durch welchen “elitäre Habitusmuster und Strategien … als Leitbilder … auf die gesamte Gesellschaft projiziert werden” und fordert pädagogische Konzepte, die über vereinfachende Formeln des Selbstlernens hinausgehen und an die Bildungstypen angepasst sind.
  3. Sportunterricht: Die positiven Wirkungen auf nachfolgende Konzentrationsphasen und auf einen Zuwachs an Kraft und Geschicklichkeit sind hinreichend belegt. Die LEV Gymnasien spricht sich deswegen für mindestens eine zusätzliche wöchentliche Sportstunde an Gymnasien aus – allerdings unter bestimmten Voraussetzungen, die im Folgenden genannt werden.
    Nicht bestätigt werden kann von den Wissenschaftlern ein positiver Effekt auf das außerschulische und insbesondere das Sporttreiben im Erwachsenenleben. Im Gegenteil konnte bei sportschwachen Schülern ein abnehmendes Interesse an körperlichen Betätigungen infolge schulischen Sportunterrichts festgestellt werden.
    Deswegen fordert die LEV Gymnasien eine ergebnisoffene Diskussion zum Thema Sportunterricht an saarländischen Schulen. Unzufrieden sind die Elternvertreter mit den sehr kurzen Phasen, die den einzelnen Sportthemen zugebilligt werden. Das Einüben komplexer und ungewohnter Bewegungsabläufe über sehr kurze Zeiträume (oft nur 4-6 Wochenstunden) mit anschließender Überprüfung und Notengebung führt bei vielen Schülern zu Frustrationserlebnissen. Die LEV Gymnasien plädiert sowohl für mehr Wahlfreiheit als auch für längere Lernphasen pro Bewegungseinheit, um Motivation und Erfolgserlebnisse zu fördern. Moderne Sportarten wie Skateboarden oder Parcours sollten als optionale Lehrplaninhalte aufgenommen werden. Besonders beachtet werden muss auch der Beitrag des Sportunterrichts zur Gesundheitserhaltung, der u.U. ein Umdenken hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung und Notengebung erfordert. Aus Gründen der effektiven Zeitnutzung sollte Sportunterricht stets in Doppelstunden stattfinden.
  4. Unterricht in neuen Medien: Einhergehend mit dem Fortschreiten der Digitalisierung in allen Lebensbereichen werden neue Unterrichtsangebote mit Bezug zu neuen Medien notwendig. Der Umgang mit Computern, Internet und vielen alltäglichen softwaregesteuerten Geräten bildet mittlerweile neben Lesen, Schreiben und Rechnen die vierte unverzichtbare Kulturtechnik. Die LEV Gymnasien plädiert für eine durchgehende Unterrichtung von IT-Wissensinhalten innerhalb vorhandener Unterrichtsfächer bzw. als eigenständiges Fach. Notwendig sind systematische Unterrichtskonzepte sowie die Aufklärung über Chancen und Risiken verschiedener IT-Systeme. Der Einsatz digitaler Medien als technische Hilfsmittel im Unterricht ist auf seine Effektivität zu prüfen und durch Ausstattung der Schulen und Fortbildung der Lehrkräfte zielgerichtet vorzubereiten.
  5. Weitere Qualitätskriterien: Die LEV Gymnasien erinnert an weitere wichtige Fragen der Schulqualität, die als Maßstab für das bestehende System bzw. eventuelle Neuorientierung gelten sollten. Im Rahmen individualisierter Förderung spielt insbesondere die Begabtenförderung eine wesentliche Rolle. Bereits installierte Systeme wie die enge Vernetzung mit der Universität sollten ausgebaut und die Möglichkeit der Vernetzung von Schulen bzw. der Einbindung weiterer Experten diskutiert werden. Die außerunterrichtliche Übung und Vertiefung wird immer – abhängig von Schulfach und individueller Begabung – eine wesentliche Rolle für den Lernerfolg spielen. Schüler können hier aus verschiedenen Gründen benachteiligt sein und müssen systematisch Unterstützung erfahren. Politische Bildung und Demokratieerziehung sind im Schulordnungsgesetz als wesentliche Ziele festgeschrieben und müssen bei allen inhaltlichen und strukturellen Änderungen in Schulen ihre herausragende Stellung bewahren. Es ist darauf zu achten, dass der Unterricht genügend Freiheiten lässt für Wahlunterrichtsangebote sowie inner- und außerschulisches Engagement – hier erfahren die Schüler Wertschätzung und Motivation im Rahmen eigener Entscheidungsfreiheiten. Dieser im Schulordnungsgesetz beschriebene Auftrag des Schulsystems ist regelmäßig auf seine Umsetzung im Rahmen gesellschaftlicher Wandlungsprozesse zu überprüfen.

→ Einsatz moderner Unterrichtsmethoden bewusst, ausgewogen und der hohen Komplexität angemessen
→ Erweiterung der Lehreraus- und -fortbildungen um aktuelle Erkenntnisse und Techniken
→ Erhalt der Rolle der Lehrkraft als Autorität, Taktgeber und Lenker des Unterrichtsgeschehens
→ Vermeidung der Überforderung von Schülern durch zu viel und zu frühe Verantwortlichkeit für das eigene Lernen
→ Verzicht auf umfangreiche Gruppenleistungen außerhalb der Schulzeit (z.B. bei der Vorbereitung von Referaten)
→ Stärkung und Neuausrichtung des Sportunterrichts im Sinne nachhaltiger Motivation
→ Erweiterung der Lehrpläne um den Themenbereich “neue Medien” als neue zentrale Kulturtechnik
→ Qualitätsmessung des bestehenden Systems anhand von Kriterien wie die Umsetzung politischer Bildung, die Unterstützung außerunterrichtlichen Lernens, Begabtenförderung, Wahlfreiheiten usw.

Quellen:

– H. Bremer: Der Mythos vom autonom lernenden Subjekt. Zur sozialen Verortung aktueller Konzepte des Selbstlernens und zur Bildungspraxis unterschiedlicher Milieus, in: S. Engler: Das kulturelle Kapital und die Macht der Klassenstrukturen. München: Juventa, S. 189-213, 2004
– R. Franzke: Der Unfug mit der Gruppenarbeit – Fördert oder verhindert Gruppenarbeit das professionelle, effektive und selbstständige Lernen in der Schule?, 2008
– P. Kirschner, J. Sweller, R. Clark: Why minimal guidance during instruction does not work: An analysis of the failure of constructivist, discovery, problem-based, experiential, and inquiry-based teaching, Educational psychologist, 41. Jg., Nr. 2, S. 75-86, 2006
G. Lehmann, W. Nieke: Zum Kompetenz-Modell, Rev, 26. Jg., S. 12, 2005
– LEV Gymnasien: Detaillierte Stellungnahme zum Erlass zur Leistungsbewertung in den Schulen des Saarlandes
– H. Metz-Göckel: Gruppenarbeit und ihre Gefahren, journal hochschuldidaktik, 24. Jg., Nr. 1-2, S. 11-14, 2013
– J. Schnabl: Lebenslange körperliche Aktivität durch Bewegung und Sport in der Schule, Graz, 2014
– U. Steffens, D. Höfer: Die Hattie-Studie, Wien: Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, 2012
– S. Tittlbach, R. Sygusch, W. Brehm, I. Seidel, K. Bös: Sportunterricht – Gesundheitschance für inaktive Kinder und Jugendliche?, Sportwissenschaft, 40. Jg., Nr. 2, S. 120-126, 2010
– G. Wydra: Belastungszeiten und Anstrengung im Sportunterricht, sportunterricht, Schorndorf, 58, Heft 5, 2009