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Kompetenzorientierung

Zustand: Kompetenzorientierung stellt eine Umorientierung in allen Bereichen unseres Bildungswesens dar. Der Fokus soll von der Wissensvermittlung stärker auf die Lernprozesse und die spätere Verfügbarkeit und Verwendbarkeit von Wissen und Fähigkeiten gerichtet werden. Diese Neuausrichtung führt seit einigen Jahren zu umfangreichen Anstrengungen z.B. bei der Überarbeitung von Lehrplänen. Im Unterricht soll stärker auf die Diagnostik von Hürden beim Verstehen und auf Lernschwierigkeiten eingegangen werden. Leistungsmessung und -bewertung werden neu ausgerichtet.

Analyse: Die Ziele der Kompetenzorientierung sind zukunftsweisend. Die Umstellung birgt jedoch einige Gefahrenpotentiale, die nicht erst rückwirkend beklagt, sondern präventiv begleitet werden sollten: Es gibt Hinweise auf eine tendenzielle Vernachlässigung vermittelten Wissens zugunsten von z.B. Textanalysetechniken. In Leistungsmessung und -bewertung fließen in immer größerem Maße Kompetenzen ein, die in den Bereich der Schülerpersönlichkeit gehören und nicht nur schwer bewertbar sind, sondern deren Bewertung nicht im Kontext Schule erfolgen darf. Weiterhin kann Kompetenzorientierung dazu führen, dass vor allem solches Wissen und solche Fähigkeiten Aufnahme in die Lehrpläne finden, deren spätere praktische Verwertbarkeit angenommen wird.

Forderungen: Eine ausreichende Balance zwischen vermitteltem Wissen und Problemlösungsfähigkeiten muss gewahrt bleiben. Regelmäßige Analysen von Problemen bei Studium und Ausbildung müssen dazu genutzt werden, nach kausalen Zusammenhängen mit Unterrichtsformen und -inhalten zu suchen. Um eine umfassende Bildung in Zukunft zu ermöglichen, dürfen Lehrplaninhalte nicht ausschließlich nach Verwertbarkeit im späteren Leben ausgewählt werden. Die vorgesehene Diagnostik individueller Lernprobleme durch die Lehrkräfte ist daraufhin zu überprüfen, ob sie – etwa im Rahmen von Fortbildungen – genügend vorbereitet wurde und ob sie im zeitlichen Rahmen gymnasialen Unterrichts sinnvoll und ausreichend umgesetzt werden kann. Der Mahnung, dem bundesweiten Konsens bezüglich zu erlernender Kompetenzen einen gemeinsamen Katalog zu erlernenden Basiswissens hinzuzufügen, schließen die Elternvertreter sich an.

Insgesamt ist die Herausforderung kompetenzorientierter Unterrichtsgestaltung als sinnvoll anzuerkennen. Ein realistischer und pragmatischer Umgang mit der konkreten Detailarbeit ist aber dringend geboten, da man beim heutigen Lehrer-Schüler-Verhältnis, den zeitlichen Vorgaben und der Ausstattung der Schulen nur eine Annäherung an die gesteckten Ziele erwarten kann. Die Landeselternvertretung fordert die Erweiterung der Lehrplankommissionen um Elternvertreter, um den gesellschaftlichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Pläne zu stärken.

→ Sorgfältige Überwachung der Balance zwischen vermitteltem Wissen und Fähigkeiten
→ Bundesweite Vorgaben bez. zu erwerbender Kompetenzen und zu erlernenden Basiswissens
→ Umfassende Begleitung und Entlastung der Lehrkräfte bei der Umgestaltung von Lehrplänen und Unterricht
→ Schaffung zeitlicher Ressourcen zur Lernprozessdiagnostik u.U. durch Reduzierung der Unterrichtsverpflichtungen

Quellen:

– J. Erpenbeck, W. Sauter: Im Kompetenzrausch?, In: Stoppt die Kompetenzkatastrophe!, Springer Berlin Heidelberg, 2016
– L. Haag, K. Lohrmann: Diagnostische (In-) Kompetenz von Lehrern. Urteilskraft und Pädagogik, Beiträge zu einer pädagogischen Handlungstheorie, S. 239-249, 2007
– S. Hareli, U. Hess: When does feedback about success at school hurt? The role of causal attributions, Social Psychology of Education, 11, 259-272, 2008
– P. Mittnik: Ein Plädoyer für die Kompetenzorientierung! Geschichts- und politikdidaktische Perspektiven eines Lehr- und Lernkonzepts, R&E-SOURCE Open Online Journal for Research and Education, April 2017
– K. Reusser: Kompetenzorientierung als Leitbegriff der Didaktik, Beiträge zur Lehrerinnen-und Lehrerbildung, 32. Jg., Nr. 3, S. 325-339, 2014
– B. Spinath: Akkuratheit der Einschätzung von Schülermerkmalen durch Lehrer und das Konstrukt der diagnostischen Kompetenz: Accuracy of Teacher Judgments on Student Characteristics and the Construct of Diagnostic Competence, Zeitschrift für pädagogische Psychologie, 19. Jg., Nr. 1/2, S. 85-95, 2005
– H.-G. Weigand: Kompetenzorientierung oder die Verteidigung eines Begriffs, der so nicht verteidigt werden kann, Mathematikinformation, Nr. 64 (ISSN 1612-9156), 27-29, 2016

Kompetenz in der Bildung: Bernd Lederer

Georg Lind: Kompetenz